\(\newcommand{\diff}{{\rm d}}\) \(\newcommand{\pdiff}{{\partial}}\)

Brückenkurs Mathematik – Wintersemester 2024/25


Über den richtigen Umgang mit messtechnischen Zahlen


Größen, Einheiten und Gleichungen

Die Lehrbücher der Physik und der Physikalischen Chemie sind beherrscht von Gleichungen, die Beziehungen zwischen Größen regeln. Hier ein paar Beispiele:

\begin{align*} E &= h \nu \\ \\ \Delta G^0 &= \Delta H^0 - T \cdot \Delta S^0 \\ \\ \epsilon &= \epsilon_0 + \frac{RT}{zF} \cdot \ln \frac{a_{\rm ox}}{a_{\rm red}} \\ \end{align*}

Wir wollen uns gar nicht weiter mit diesen Gleichungen beschäftigen. Für uns ist hier nur wichtig, dass in ihnen Größen auftreten, die durch irgendwelche mehr oder weniger komplizierten mathematischen Operationen miteinander verknüpft sind. In der ersten der obigen drei Gleichungen sind es die Größen: Photonenenergie \(E\), Plancksche Konstante \(h\) und Frequenz \(\nu\).

Im folgenden wird eine Größe, welche es auch sei, durch das Symbol \(G\) ausgedrückt. \(G\) wird als das Produkt aus einer Maßzahl und einer Einheit aufgefasst:

\begin{equation} \label{eqMasszahlMalEinheit} G = {\color {red}\{G\}} \cdot {\color {blue}[G]}. \end{equation}

\(\{G\}\) bezeichnet Maßzahl von \(G\).

\([G]\) ist das Symbol für die Einheit von \(G\).

Zum Beispiel:
Die Frequenz \(\nu\) sei gegeben zu \(\nu\) = 104,6  MHz.
Der Druck \(p\) sei gegeben zu \(p\) = 52357 Pa.

Dann ist gemäß Gl. \ref{eqMasszahlMalEinheit}: \(\{p\} = 52357\) und \([p] = {\rm Pa}\).

Es ist sehr wichtig, einzusehen, dass der Ausdruck 52357 Pa ein Produkt darstellt. Mit dem Produkt \(\{G\} \cdot [G]\) können Sie rechnen wie mit jedem anderen Produkt auch. Wenn beispielsweise die Größen \(m = 5\;{\rm kg}\) und \(v = 5\;\frac{\rm m}{\rm s}\) vorliegen und Sie das Produkt \(P = m \cdot v\) bilden sollen, dann ist \(P\) gegeben zu \[ P = \{m\} \cdot [m] \cdot \{v\} \cdot [v] = \{m\} \cdot \{v\} \cdot [m] \cdot [v] \] \[= 5\;{\rm kg} \cdot 5\;\frac{\rm m}{\rm s} = 5 \cdot 5 \cdot {\rm kg} \cdot \frac{\rm m} {\rm s} = 25 \; \frac{\rm kg \cdot m}{\rm s},\] denn in einem Produkt sind die einzelnen Größen ja vertauschbar, so dass wir umsortieren und die jeweiligen Maßzahlen und Einheiten zusammenfassen können.

Rechnen mit Einheiten

Oh ja, mit Einheiten kann und muss man rechnen! Dabei gibt es einige Regeln zu beachten; wenn man diese Regeln ignoriert, kann das Ergebnis in katastrophaler Weise falsch sein.
Internationales Einheitensystem.– Grundlage zu benutzender Einheiten ist bekanntlich ein System von 7 Basiseinheiten für die 7 Basisgrößen der Physik. Diese sind in der nachfolgenden Tabelle aufgelistet.

Tabelle 1-1: SI-Basiseinheiten
GrößeSymbol Einheit Symbol
Länge \(\ell\) Meter m
Zeit \(t\) Sekunde s
Masse \(m\) Kilogramm kg
Stromstärke \(I\) Ampere A
Temperatur \(T\) Kelvin K
Stoffmenge \(n\) Mol mol
Lichtstärke \(I_v\) Candela cd

Abgeleitete SI-Einheiten sind alle Einheiten, die sich aus den Basiseinheiten ohne Verwendung von Zahlenfaktoren ergeben. Wichtige abgeleitete Einheiten erhalten oft selbständige Bezeichnungen mit Namen bedeutender Persönlichkeiten aus dem Bereich der Naturwissenschaften.

Einheiten, die vom Namen einer Person abstammen, beginnen mit einem Großbuchstaben (Newton → N; Pascal → Pa).

Beispiele: \[1\;{\rm N}= 1\; \frac {\rm kg \cdot m}{\rm s^2},\] \[1\;{\rm Pa} = 1 \frac {\rm N}{\rm m^2}.\]
Gegenbeispiele:

SI-fremde (inkohärente) Einheiten sind solche, die sich aus SI-Einheiten nur durch Umrechnungsfaktoren ungleich Eins umrechnen lassen. Die Ausdrücke "SI-fremd" und "inkohärent" bedeuten also dasselbe.

Ein Beispiel ist die Geschwindigkeit in der Einheit km/h:

\[{1\;\rm km/h = \frac {1}{3,6}~m/s}\]

Der Umrechungsfaktor beträgt \(\frac{1}{3,6} = 0,2777(\dots).\)

Auch solche Einheiten, die sich von einer SI-Einheit um eine Potenz von 10 unterscheiden (außer \(10^0=1\) natürlich), sind inkohärent!

Beispiele:

Weiteres zu inkohärenten Einheiten.– Inkohärente Einheiten kommen in der Fachliteratur und im Laboralltag sehr häufig vor. Tatsächlich sind abgeleitete SI-Einheiten etwas, das man am ehesten in (didaktisch aufbereiteten) Lehrbüchern findet. Das häufige Vorkommen inkohärenter Einheiten liegt daran, dass

  1. SI-Einheiten (Basiseinheiten und abgeleitete SI-Einheiten) in vielen Zusammenhängen sehr unpraktisch sind, und
  2. in den einzelnen Bereichen der Wissenschaft und der Technik seit langem Einheiten etabliert sind, die sich nur schwer (soll heißen: gegen den Widerstand der Beteiligten) von SI-Einheiten verdrängen lassen.

Betrachten wir als Beispiel die Größe Energie (\(E\)). Ihre SI-Einheit ist das Joule (J), mit \[{\rm 1\;J = 1 \frac{kg \cdot m^2}{s^2} = 1\; N \cdot m.}\]

Im Bereich der Atom- und Molekülphysik (eine der Grundlagen der modernen Chemie!) ist die Einheit Joule ganz unpraktisch, weil die entsprechende Energiemenge von \(1\;{\rm J}\) auf einer molekularen Skala viel zu groß ist. Die typische Energiemenge, die bei einer Reaktion zweier Moleküle miteinander freigesetzt wird, liegt in der Größenordnung \(5 \cdot 10^{-19}\;{\rm J}\). Als "natürliche" Einheit der Energie wird in der Atom- und Molekülphysik sowie in weiten Bereichen der Spektroskopie seit langem das Elektronenvolt (Symbol eV) verwendet. 1 eV entspricht der kinetischen Energie, die ein einzelnes Elektron gewinnt, wenn es über eine Potentialdifferenz von 1 V beschleunigt wird. Die Umrechnung von Joule in Elektronenvolt erfolgt mittels der Beziehung \[{\rm 1\;eV = 1,6022 \cdot 10^{-19}\;J;}\] \[{\rm 1\;J = 6,2414 \cdot 10^{18}\;eV.}\] Die oben genannte Energiemenge bei einer Reaktion zweier Moleküle miteinander beträgt 3 eV; die Ionisierungsenergie des Wasserstoffatoms beträgt ca. 13,6 eV. Wer immerfort mit der Einheit eV rechnet und arbeitet, erlangt ein Gefühl dafür, ob eine molekulare Energiemenge groß oder klein ist, oder ob z.B. ein Rechenfehler vorliegt.

Einheitenvorsätze: Da es oft vorkommt, dass die Grundeinheiten für das praktische Rechnen zu groß oder zu klein sind, werden dezimale Vielfache oder Bruchteile gebildet, die durch Vorsätze gekennzeichnet werden. Die mehrfache Verwendung von Vorsätzen auf eine Einheit ist nicht erlaubt. Dies ist vor allem wichtig für das Kilogramm, das bereits einen Vorsatz enthält. Es ist also KEIN \(\mu\)kg erlaubt. Vorsätze dürfen nur vor das Gramm gesetzt werden, also z.B. ng oder \(\mu\)g. Dies führt oft zu Fehlern, da der Einheitenvorsatz \(\mu\) den Faktor \(10^{-6}\) bezeichnet, aber \(1\;\mu {\rm g} = 10^{-9}\;{\rm kg}\) ist. Wer eine Masse von \(3,5\cdot 10^{-6}\;{\rm kg} \) einer Substanz abwiegen will, kann statt dessen \({\rm 3,5\;mg }\) sagen (und wird es wohl auch tun); auf keinen Fall darf man "\( 3,5\;\mu {\rm kg}\)" dazu sagen.

Die folgende Tabelle gibt die dekadischen Einheitenvorsätze an; die Einheitenvorsätze in dem schwarz umrahmten Bereich sollten Sie sozusagen im Schlaf können.
Tabelle 1-2: Einheitenvorsätze
Potenz Symbol Name Potenz Symbol Name
\(10^1\) da Deka \(10^{-1}\) d Dezi
\(10^2\) h Hekto \(10^{-2}\) c Centi
\(10^3\) k Kilo \(10^{-3}\) m Milli
\(10^6\) M Mega \(10^{-6}\) \(\mu\) Mikro
\(10^9\) G Giga \(10^{-9}\) n Nano
\(10^{12}\) T Tera \(10^{-12}\) p Piko
\(10^{15}\) P Peta \(10^{-15}\) f Femto
\(10^{18}\) E Exa \(10^{-18}\) a Atto
\(10^{21}\) Z Zetta \(10^{-21}\) z Zepto
\(10^{24}\) Y Yotta \(10^{-24}\) y Yocto

Einheitenvorsätze binden stärker an eine Einheit als eine Potenz.
Beispielsweise bedeutet \(26\;{\rm cm}^{2}\): 26 Quadratzentimeter, nicht 26 Zentiquadratmeter: \(26\;{\rm cm}^{2} = 26\;{\rm (cm)^{2}}\) und nicht \(26\;{\rm c(m^{2})}\).
Entsprechend ist \(\mu {\rm m^2} = \left(\mu {\rm m}\right)^{2}\) und nicht \(\mu\left( {\rm m}\right)^{2}\), also Quadrat-Mikrometer, nicht Mikro-Quadratmeter.
Bei der Potenzierung wird also die Einheit (z.B. m) zusammen mit dem Einheitenvorsatz (z.B. \(\mu\)) als eine Einheit betrachtet.

Das ist in keiner Weise trivial: an sich ist der Einheitenvorsatz \(\mu\) ein Symbol für die Zahl \(10^{-6}\), also ein Faktor; \(\mu{\rm m}\) bedeutet nichts anderes als \(10^{-6}\;{\rm m}\). Die Potenz wirkt aber auch auf diesen Faktor, er wird mitpotenziert. Das ist anders als in der normalen Mathematik: dort bindet die Potenz stärker als ein Vorfaktor: \[ a \cdot b^{\;c} = a \cdot \left( b^{\;c} \right) \] Dagegen gilt bei Einheiten mit Einheitenvorsatz: \[ \mu{\rm m}^2 = \left(10^{-6}\;{\rm m}\right)^2 = 10^{-12}\;{\rm m}^{2}. \]

Die Umrechnung inkohärenter Einheiten ineinander kommt sehr oft vor und muss geübt werden.
Beispiel:
Wieviel Kubiknanometer entsprechen 2 \(\mu {\rm L}\)?
Wir rechnen beide Volumina zunächst in SI-Basiseinheiten um: \[ 2\;\mu{\rm L} = 2 \cdot 10^{-6} \; {\rm L} = 2 \cdot 10^{-6} \;\cdot 10^{-3}\;{\rm m^3} = 2 \cdot 10^{-9}\;{\rm m}^3 \] \[ 1\; {\rm nm}^{3} = 1\; \left({\rm nm}\right)^{3} =\left(10^{-9}\;{\rm m}\right)^{3} = \left( 10^{-9}\right)^{3} \cdot {\rm m}^3 = 10^{-27}\;{\rm m^3} \] Wir teilen nun die beiden Gleichungen durcheinander: \[ \frac{2\;\mu{\rm L} }{1\; {\rm nm}^{3}} = \frac{2 \cdot 10^{-9}\;{\rm m}^3}{10^{-27}\;{\rm m^3}} = 2 \cdot 10^{18} \] Wir lösen die Gl. jetzt nach \(2\;\mu{\rm L} \) auf und erhalten: \[ 2\;\mu{\rm L} = 2 \cdot 10^{18} \; {\rm nm^3}. \]


Eigenschaften der Maßzahlen

Ziel der Messung einer Größe \(G\) ist die im Rahmen der praktischen Gegebenheiten möglichst genaue Bestimmung ihrer Maßzahl \(\{G\}\).

Wir machen nun eine Annahme, die (wie wir weiter unten sehen werden) grundsätzlich nicht experimentell bewiesen werden kann:

Die zu bestimmende Größe weist einen wahren Wert auf.

Wir nehmen also z.B. an, dass die Ruhemasse \(m_e\) des Elektrons einen wahren Wert hat. Wir nehmen weiter an, dass \(m_e\) für jedes beliebige Elektron genau gleich groß ist.

Die wahre Maßzahl der Größe \(m_e\) ist eine ganz bestimmte reelle Zahl. Sie ist "unendlich genau"; geometrisch veranschaulicht stellt die Maßzahl des wahren Wertes einen Punkt auf der rellen Zahlenlinie dar.

Die wahre Maßzahl weist unendlich viele Nachkommastellen auf. Die Ziffernfolge dieser Zahl (die dem wahren Zahlenwert von \(m_e\) entspricht) hört nie auf.

Denken Sie bei reellen Zahlen beispielsweise an die Kreiszahl \(\pi\) oder die Eulersche Zahl \({\rm e}\), deren wahrer Wert durch keine noch so lange Ziffernfolge exakt angegeben werden kann. Wir kennen den wahren Wert der Zahl \(\pi\) überhaupt nicht, ganz gleichgültig, wie viele Stellen wir bereits ermittelt haben. Im Jahr 2019 waren 31 415 926 535 897 Stellen von \(\pi\) bekannt, das ist schon nicht schlecht, aber es ist natürlich auch nur ein Tropfen im Meer der Unendlichkeit.–

Hier finden Sie eine geradezu unglaubliche Eigenschaft von \(\pi\)

Wir kennen aber von keiner Größe die unendliche Ziffernfolge, die ihrer wahren Maßzahl entspricht.
Wir können nur ein Intervall benennen, innerhalb dessen der wahre Wert unseren Messergebnissen zufolge liegt.
Im Laufe der Entwicklung stets verfeinerter Messmethoden wird die Folge zuverlässiger Ziffern immer länger, weil die Genauigkeit der Messungen immer weiter zunimmt.
Das Intervall, innerhalb dessen der wahre Wert liegt, immer weiter einzuengen, ist ein historischer Prozess, ein Stück Wissenschafts- und Technikgeschichte.

Beispiel: Der aktuelle Wert der Rydberg-Konstante \(R_{\infty}\) beträgt nach dieser Quelle: \(R_{\infty} = 10 973 731,568 160\;{\rm m}^{-1} \). Das sind 14 Stellen; die letzten beiden Stellen sind unsicher. Die relative Unsicherheit beträgt nach derselben Quelle \(1,9 \cdot 10^{-12}\). Bei dieser Zahlenangabe handelt es sich um eine relative Standardunsicherheit; wir werden später lernen, worum es sich dabei genau handelt. Im Jahr 2004 betrug die relative Unsicherheit noch \(7,6 \cdot 10^{-12}\), vor einigen Jahrzehnten war sie noch in der Größenordnung von \(10^{-9}\).

Die relative Unsicherheit gibt das Intervall an, innerhalb dessen wir die Maßzahl einer Größe kennen, bezogen auf den Wert der Größe.

Beispiel: Die aktuelle relative Unsicherheit der Rydberg-Konstanten beträgt: \(\delta R_{\infty} = 1,9 \cdot 10^{-12}\). Die absolute Intervallbreite \(\Delta R_{\infty}\) beträgt auf der rechten wie auf der linken Seite: \[ \Delta R_{\infty} = R_{\infty} \cdot \delta R_{\infty} \approx 2\cdot 10^{-5}\;{\rm m}^{-1}. \]

Wir können immer nur ein Intervall \(\Delta W\) angeben, innerhalb dessen der wahre Wert \(W\) liegt.

Die Zahlen, die aus Messungen folgen, repräsentieren (fast) immer ein solches Intervall. Es kommt in der Messtechnik entscheidend darauf an, in Intervallen zu denken, und nicht in diskreten Zahlen.

Wir müssen in der Messtechnik immer in Intervallen denken. An die Stelle diskreter Zahlen tritt in der Messtechnik das Intervall.

Einen Sonderfall stellen Größen dar, die man zählen kann, wie die Zahl der Eier in einem Karton. Bei diesen Größen ist die Maßzahl eine Ganzzahl. Ganzzahlen sind als solche unendlich genau; sie repräsentieren für sich genommen keine Intervalle. Bei kleinen Ganzzahlen macht es wenig Sinn, bei ihnen einen Fehler anzugeben: »Die Zahl der Kohlenstoffatome in Benzol ist \(6\pm 0,1\)« ist Unsinn. Wenn die Ganzzahlen aber größer werden, kann die Angabe eines Fehler durchaus sinnvoll sein, z.B. bei der Anzahl Vögel in einem Schwarm von Wildgänsen. Das liegt daran, dass wir diese Anzahl normalerweise nicht durch Zählung, sondern durch Schätzung ermitteln.
Einen weiteren Sonderfall stellen Größen dar, die per definitionem auf einen bestimmten Wert festgelegt worden sind. Beispielsweise wurde der Wert der Lichtgeschwindigkeit auf exakt 299792458 m/s festgelegt. Solche Größen sind dann keine Messgrößen mehr.

Wir verstehen jetzt, warum die Annahme, es gebe einen wahren Wert einer Messgröße, eine experimentell unbewiesene Vermutung ist: wie klein auch immer das Ungenauigkeitsintervall sein mag, es bleibt doch immer ein endlich großes Intervall. Wir können also z.B. nicht experimentell beweisen, dass die Ruhemasse \(m_0\) aller Elektronen immer genau gleich groß ist: wir können ja nur das Intervall angeben, innerhalb dessen \(m_0\) liegt. Innerhalb dieses Intervalls könnte die Masse der Elektronen also unterschiedlich sein.

Signifikante Stellen.–

Jede messtechnische Zahl, die wir verwenden, repräsentiert ein Intervall.

Das Intervall entspricht normalerweise der Messungenauigkeit und ist durch die Auflösung des Messgerätes gegeben.

Die Zahlenangabe »1,7« bedeutet: 1,7 und nicht 1,6 oder 1,8. Die Zahl »1,7« steht also für das Intervall zwischen 1,65 und 1,75. Sie repräsentiert dieses Intervall. (Für unsere Zwecke ist es irrelevant, ob die Grenzen gerade noch zum Intervall gehören oder nicht.)

Sie können es sich vorstellen wie die Bretter eines Zaunes:
Abb. 1: Jedes Brett dieses Lattenzauns repräsentiert einen möglichen Messwert. Ein bestimmter Messwert entspricht der Spitze eines bestimmten Zaunbrettes. Die Breite des Brettes entspricht der Messungenauigkeit. Wenn die Bretter schmaler sind als in der Abbildung gezeigt, dann entspricht dies einer höheren Messgenauigkeit, und es gibt in dem dargestellten Gesamtintervall (= Gesamtbreite des dargestellten Zaunabschnittes) mehr Bretter. (Die Zwischenräume zwischen den Brettern des dargestellten Zaunes haben für uns keine Bedeutung. Wir stellen uns vor, die Bretter würden unmittelbar aneinander grenzen.)
So wie die Bretter eines Zaunes haben auch Zahlen, die ein Intervall repräsentieren, links und rechts von sich eine Nachbarzahl. Darin unterscheiden sie sich fundamental von den reellen Zahlen (und auch von den rationalen Zahlen).

Es kommt also darauf an, die Intervallbreite bei einer Zahlenangabe so einzustellen, dass sie einer Messgenauigkeit entspricht. Dies realisiert man durch das Konzept der signifikanten Stellen einer Maßzahl.

Die signifikanten Stellen sind die Stellen einer Maßzahl, die wir kennen.
Eine Maßzahl darf nicht mehr signifikante Stellen aufweisen, als die Genauigkeit einer Messung erlaubt.
Zur Angabe signifikanter Stellen sind Regeln festgelegt, die wir beachten müssen. Sie sind im Folgenden aufgelistet.
Regeln zur Bestimmung der Anzahl signifikanter Stellen
  1. Alle von Null verschiedenen Ziffern sind stets signifikant. Beispiel: die Zahl »1234« weist vier signifikante Stellen auf.
  2. Gruppen von Nullen zwischen Ziffern, die von Null verschieden sind, sind signifikant. Beispiel: »120034» weist sechs signifikante Stellen auf.
  3. Führende (vorangestellte) Nullen sind niemals signifikant. Beispiel: »0,00123«: drei signifikante Stellen.
  4. In kommabehafteten Zahlen sind nachgestellte Nullen signifikant: » 1,230«: vier signifikante Stellen (1,230 ist für uns nicht dasselbe wie 1,23; denn 1,23 hat die Nachbarn 1,22 und 1,24, während 1,230 die Nachbarn 1,229 und1,231 hat).
  5. Nicht kommabehaftete Zahlen, z.B. 1200: nachgestellte Nullen sind mehrdeutig. Die Ziffer Null spielt nämlich in unserem Zahlensystem eine Doppelrolle: sie kann zum einen zur Darstellung der Größenordnung verwendet werden: 1 kg = 1000 g (eine Stelle ↔ vier Stellen). Zum anderen kann eine Null aber auch einer Messung entstammen, es können also z.B. wirklich 1200 g sein und nicht 1201 g. Daher ergibt sich eine Uneindeutigkeit. Beispiel: » 1200« → es ist nicht klar, ob die rot dargestellte Null signifikant ist oder nicht. Wenn sie signifikant ist, so bedeutet dies: 1200 und nicht 1210 oder 1190. Wenn die rot dargestellte Null nicht signifikant ist, so bedeutet dies: 1200 und nicht 1100 oder 1300. Das sieht man der Null aber nicht an. Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem:
    1. Kennzeichnung der letzten signifikanten Stelle, beispielsweise durch einen Oberstrich: \(12\bar{0}0\); die überstrichene Null ist signifikant. Dies ist nicht sehr günstig, weil nicht klar ist, ob der Leser die Konvention kennt.
    2. Verwendung der »wissenschaftlichen« Schreibweise. Wenn die rot eingetragene Null signifikant ist, schreiben wir \(1,20\cdot10^{3}\), wenn sie nicht signifikant ist, schreiben wir \(1,2\cdot10^{3}\). Hier stehen die signifikanten Stellen in der Mantisse, und die Größenordnung wird im Exponenten ausgedrückt. Wir trennen in der wissenschaftlichen Schreibweise die signifikanten Stellen von der Größenordnung und vermeiden dadurch das Problem der Doppeldeutigkeit der Ziffer Null.

Wichtige Regeln für die sogenannte normalisierte wissenschaftliche Notation einer Zahl, die wir im Folgenden nutzen wollen:

  1. In wissenschaftlicher Notation besteht eine Zahl aus einer Mantisse und einem Exponenten; am Beispiel der Avogadro-Konstanten:

    \(N_{A} =\) 6,022 \(\cdot 10\)\(^{23}\).

    Die Mantisse ist also gleich 6,022 und der Exponent ist gleich 23.

  2. Jede Stelle der Mantisse ist signifikant.
  3. Der Exponent ist stets eine ganze Zahl und daher niemals komma-behaftet. Wenn der pH-Wert 3,7 beträgt, ist die \(\ce{H^+}\)-Ionen-Konzentration nicht anzugeben als \(10^{-3,7}\), sondern als \(2,0 \cdot 10^{-4}\), denn \(10^{-3,7}\) ist keine wissenschaftliche Notation.
  4. In der Mantisse darf nur eine Stelle vor dem Komma stehen. Wir dürfen also nicht schreiben: \(N_A=60,22 \cdot 10^{22}\). Das ist zwar numerisch dasselbe, aber es ist keine wissenschaftliche Notation.
  5. Vor dem Komma darf keine Null stehen, sondern es muss eine der Ziffern \(1 \dots 9\) dort stehen. Wir dürfen also nicht schreiben: \(N_A=0,6022 \cdot 10^{24}\).
Es ist eine Frechheit, in der Mantisse mehr Stellen anzugeben, als die Messung hergibt. Wenn Sie nämlich auch nur eine Stelle zuviel angeben, dann behaupten Sie damit, dass die Messung zehnmal so genau gewesen ist, wie sie wirklich war! Wenn Sie drei Stellen mehr angeben, dann entspricht dies einer tausendfach höheren Genauigkeit. Stellen Sie sich vor, wie jemand reagiert, der zehn Jahre seines Lebens darauf verwendet hat, wirklich tausend mal genauer zu messen…

Wenn nachfolgend von wissenschaftlicher Notation die Rede ist, so ist stets die normalisierte Notation darunter zu verstehen.

Neben der normalisierten wissenschaftlichen Notation gibt es noch die sogenannte technische Notation (englisch engineering notation). In dieser Notation wird die Mantisse so geschrieben, dass der Exponent ein Vielfaches von Drei ist. Dies hat den Vorteil, dass der Exponent unmittelbar in einen Einheitenvorsatz wie »milli« oder »nano« umgerechnet werden kann. Mehrere Ziffern vor dem Komma sind erlaubt, eine Null vor dem Komma ist erlaubt. Beispiele für die technische Notation und ihre Umrechnung in normalisierte wissenschaftliche Notation:

Rechnen mit signifikanten Stellen.– Für das Rechnen mit signifikanten Stellen gelten spezielle Regeln.

  1. Addition (Beispiel: \(107,1 + 1,189\)):
    1. Es wird die letzte signifikante Stelle beider zu addierender Zahlen bestimmt: \(107,\bar{1}\) und \(1,18\bar{9}\).
    2. Es wird ganz normal mit dem Taschenrechner addiert: \(107,1 + 1,189 = 108,289\).
    3. Es wird die absolut ungenauere der beiden Zahlen identifiziert. Das ist hier die Zahl 107,1, denn sie hat nur eine Nachkommastelle, die Zahl 1,189 dagegen hat drei Nachkommastellen. Wenn es sich beispielsweise um eine Längenangabe in Meter handelt, dann ist die Größe 107,1 m auf 0,1 m = 100 mm genau, während 1,189 m auf 1 mm genau ist. Also ist die erste der beiden Zahlen (107,1) absolut ungenauer.
    4. Die Absolutgenauigkeit der Summe ist gleich der Absolutgenauigkeit der ungenaueren der beiden zu summierenden Zahlen.
    5. Die Dezimalstelle der letzten signifikanten Ziffer der Summe wird bestimmt: \(108,\bar{2}89\).
    6. Es wird auf diese Stelle gerundet: \(108,\bar{2}89 = 108,3\).
    Das Ergebnis lautet also: \(107,1 + 1,189 = 108,3\). Beachten Sie, dass diese Rechnung mathematisch falsch ist, physikalisch aber richtig. Messtechnische Zahlen gehorchen anderen Rechenregeln.

  2. Multiplikation (Beispiel: 0,77 \(\cdot\) 0,895):
    1. Die Multiplikation wird wie gewöhnlich mit dem Taschenrechner ausgeführt: \(0,77 \cdot 0,895 = 0,68915\).
    2. Der Faktor mit der geringsten Zahl signifikanter Stellen wird identifiziert, hier also »0,77« (zwei signifikante Stellen).
    3. Das Produkt wird auf diese Zahl signifikanter Stellen gerundet: \(0,68915 \approx 0,69\). Dies ist das Ergebnis. Das Ergebnis lautet also: \(0,77 \cdot 0,895 = 0,69\).

  3. Logarithmieren: \(\log\left(1234\right) = ?\)
    Die zu logarithmierende Zahl (1234) hat vier signifikante Stellen. Wir nutzen folgende Darstellung: \[ \log(1234) = \log(1,234\cdot 1000) = \log(1,234) + \log(10^{3}) \] Da \(10^{3}\) lediglich die Größenordnung der Zahl angibt, ist der Logarithmus dieses Faktors hinsichtlich der Zahl signifikanter Stellen im Logarithmus irrelevant. Es ist \(\log(1,234) = 0,09131516\cdots\) und \(\log(10^{3})=3\). Also ist \(\log 1234 = 3,09131516\cdots\), und die Nachkommastellen werden auf die vier signifikanten Stellen der Ausgangszahl 1234 gerundet: \[ \log 1234 = 3,0913. \] Hier noch einige Beispiele zur Verdeutlichung der Angabe signifikanter Stellen des Logarithmus von Zahlen, die stets die drei signifikanten Stellen 212, aber eine unterschiedliche Größenordnung (Zehnerpotenz) aufweisen:
    \(\log(2,12)=0.326\); \(\log(21,2)=1.326\); \(\log(2120)=3.326\); \(\log(2120000)=6.326\); die signifikanten Stellen des Logarithmus sind hier stets "326".
  4. Trigonometrische Funktionen: der Sinus eines Winkels lässt sich aus dem Winkel grundsätzlich mit beliebiger Genauigkeit berechnen (Taschenrechner genügt). Heute übliche Algorithmen berechnen in Bruchteilen einer Sekunde den Sinus auf zehn bis 16 Stellen genau. Das ist normalerweise viel genauer als der Winkel, dessen Sinus man berechnen will. Die Berechnung des Sinus führt also im allgemeinen zu keiner zusätzlichen Ungenauigkeit. Er ist gerade so genau oder ungenau wie der Winkel, auf den er sich bezieht. Daher ist die Anzahl signifikanter Stellen des Sinus so groß wie die Anzahl signifikanter Stellen des Winkels, auf den er sich bezieht.
    \[\alpha = 27.33^{O} \to \sin(\alpha)=0,4591\] Dasselbe gilt für den Cosinus und den Tangens.


Hinweise zur Fehlerrechnung

Die Angabe einer bestimmten Anzahl signifikanter Stellen ist eine intrinsische (der Zahl selbst innewohnende) Genauigkeitsangabe, die die Breite des Intervalls angibt, innerhalb dessen (wie wir annehmen) der wahre Wert liegt. Darin ist man aber wenig flexibel. Eine zusätzliche Stelle im Dezimalsystem bedeutet, dass die Messung zehnmal so genau war. Und wenn sie nun aber nur dreimal so genau war wie eine frühere Messung? Das ist ja auch schon ein riesiger Fortschritt, lässt sich aber im Dezimalsystem nicht durch eine zusätzliche Stelle geeignet darstellen. Außerdem hängt die Genauigkeit einer zusätzlichen Stelle vom verwendeten Zahlensystem ab. Im Oktalsystem würde eine zusätzliche Stelle einer achtmal höheren Genauigkeit entsprechen, im Dualsystem einer doppelt so hohen Genauigkeit. Das ist uns zu starr, wir brauchen mehr Flexibilität. Daher ist es üblich, die Genauigkeit einer Maßzahl zusätzlich explizit hinter die Zahl zu schreiben.

Unter dem Fehler einer Größe wollen wir die Ungenauigkeit dieser Größe verstehen. Der Ausdruck »Fehlerrechnung« bedeutet nichts anderes als Genauigkeitsanalyse. Der Ausdruck »Fehler« kann sich sowohl auf Messgrößen beziehen als auch auf Größen, die aus Messgrößen erschlossen werden.

Drei Anmerkungen:
  1. Fehler bedeutet nicht, dass man etwas falsch gemacht hat. Der Fehler ist einfach die Breite des Ungenauigkeitsintervalls.
  2. Wenn man beim Messen wirklich etwas falsch macht, spricht man von einem systematischen Fehler. Damit beschäftigen wir uns hier nicht.
  3. Der Anfänger glaubt manchmal, der Fehler sei gleich der Abweichung des selbst gemessenen Wertes von einem Literaturwert. Das stimmt ganz und gar nicht. Das hat nichts miteinander zu tun. Die Fehleranalyse bezieht sich ausschließlich auf die eigenen Daten und nicht auf irgendeinen Vergleich mit der Literatur.

Absoluter und relativer Fehler.— Wir unterscheiden den absoluten Fehler \(\Delta M\) einer Messgröße \(M\) und den relativen Fehler \(\delta M\) dieser Messgröße.

Der absolute Fehler \(\Delta M\) einer Messgröße M (es wird stets ein großes griechisches \(\Delta\) verwendet) hängt eng mit dem bereits besprochenen Ungenauigkeitsintervall zusammen, innerhalb dessen der Messwert liegt; die beiden Größen unterscheiden sich nur um den Faktor Zwei. \(\Delta M\) weist dieselbe Einheit wie die Messgröße auf. Beträgt die Messgröße z.B. \(U=100\;{\rm V}\) und ist die Messungenauigkeit gleich \(\pm 1\;{\rm V}\), so ist diese Ungenauigkeit gleich dem absoluten Fehler der Messung; es ist also \(\Delta U = \pm 1\;{\rm V}\), und wird schreiben:

\[ U = \left(100 \pm 1\right)\;{\rm V}. \]

Der relative Fehler \(\delta M\) der Messgröße (es wird stets ein kleines griechisches \(\delta\) verwendet) ist gleich dem Quotienten aus dem absoluten Fehler und dem Messwert. Im gegebenen Beispiel (\(U=100\;{\rm V},\; \Delta U = \pm 1\;{\rm V}\)) gilt für den relativen Fehler \(\delta U\):

\[ \delta U = \frac {\Delta U}{U} = \frac{\pm 1\;{\rm V}} {100\;{\rm V}} = \pm 0,01 = \pm 1\%. \]

Der relative Fehler \(\delta M\) wird häufig als Prozentzahl angegeben. Wir schreiben also (das sieht etwas lax aus, ist aber durchaus üblich):

\[ U = 100\;{\rm V} \pm 1\%. \]

Von Geräteherstellern wird der Fehler häufig in Prozent des Messbereiches angegeben. Beträgt dieser z.B. für ein Spannungsmessgerät (Voltmeter) \(\pm\) 1% des Messbereiches, dann ist der absolute Fehler im Bereich 0–10 V gleich \(\pm\)100 mV, im Bereich 0–100 V aber gleich \(\pm\)1 V.

Das \(\pm\)-Zeichen wird in Bedienungsanleitungen leider oft weggelassen, was zu Problemen führen kann. Wenn der Hersteller angibt: Genauigkeit 1%, bedeutet das dann \(\pm 1\% \) oder \(\pm 0,5\% \)? Schreiber dieser Zeilen musste schon des öfteren Hersteller kontaktieren, um diese Frage beantwortet zu bekommen.

Folgefehler – das zentrale Element der Fehlerrechnung

Wenn \(x = \left(10 \pm 1\right)\), was ist dann \(x^2\)?

Wenn ein Messwert \(M\) nur innerhalb eines gewissen Intervalls \(\pm \Delta M\) gegeben ist, dann können auch aus \(M\) abgeleitete Größen \(G\), die sich durch irgendeine Art von Berechnung aus \(M\) ergeben, ebenfalls nur innerhalb eines Intervalls \(\pm \Delta G\) genau sein.
Wenn eine Messgröße \(M\) fehlerbehaftet ist, dann ist eine Größe \(G\), die aus ihr errechnet wird, ebenfalls fehlerbehaftet.

Wir fragen nun nach dem Zusammenhang von \(\Delta M\) und \(\Delta G\).

Wie groß das Intervall \(\Delta G\) ist, hängt vom funktionalen Zusammenhang zwischen \(M\) und \(G\) ab.

Wir betrachten zunächst den einfachen linearen Zusammenhang: \[ G = c \cdot M \]
Beispiel: Wir wollen das Volumen eines irregulär geformten Köpers durch Wägung ermitteln. Wir schlagen in der Literatur die Dichte \(\varrho\) des Materials nach, aus dem der Körper besteht. Wenn die Wägung eine Masse \(m\) ergibt, dann ist das Volumen gegeben zu: \(V = \varrho \cdot m\).
In diesem Beispiel ist also die Messgröße \(M\) die Masse \(m\), die Zielgröße \(G\) ist das Volumen \(V\).
Wir wollen zunächst annehmen, dass die Konstante \(c\) derart genau bekannt ist, dass ihr Fehler bei der Ermittlung des Fehlers in \(G\) vernachlässigt werden kann (später werden wir diese Voraussetzung aufheben).
Dann gilt nach den Regeln der Differentialrechnung: \[ \frac{{\mathrm d} G}{{\mathrm d}M} = c \] Wegen des linearen Zusammenhanges zwischen \(M\) und \(G\) ergibt sich hieraus \[ \frac{\Delta G}{\Delta M} = c \] und durch Auflösen nach \(\Delta G\): \begin{equation} \label{eqFehlerGeradengleichung} \Delta G = c \cdot \Delta M. \end{equation}

Der absolute Fehler in \(G\) ist \(c\) mal so groß wie der absolute Fehler in \(M\).

Grundsätzlich kann die Steigung \(c = \frac{\Delta G}{\Delta M}\) auch negativ sein. In der Fehlerrechnung bleibt dies unberücksichtigt. Wir rechnen hier grundsätzlich mit den Beträgen, auch wenn wir dies nicht immer in den Gleichungen ausdrücken, damit sie nicht zu kompliziert aussehen.

In der folgenden Abbildung sind die Zusammenhänge graphisch dargestellt:

Abb. 2: Eine Größe \(G\) hängt linear von einer Messgröße \(M\) ab gemäß \(G = c \cdot M\); \(c\) ist dann die Steigung \(\dfrac{{\rm d}G}{{\rm d}M} \) der Linie. Ändert sich \(M\) von \(M_0\) auf \(\left(M_0 + \Delta M\right)\), so ändert sich \(G\) um \(\Delta G\). Diese Änderungen, also \(\Delta M\) und \(\Delta G\), betrachten wir als die Fehler dieser Größen. Wir behandeln Fehler so, wie Änderungen in der Analysis reeller Funktionen behandelt werden. Wir müssen also nichts neues lernen.

Relativer Fehler: Wir teilen nun die Gleichung \(\Delta G = c \cdot \Delta M\) durch die Gleichung \(G = c \cdot M\). (Gleichungen kann man durcheinander teilen, in dem man die linken Seiten und die rechten Seiten durcheinander teilt. Das ist eine sehr häufig verwendete Technik.) Dann finden wir: \[ \frac{\Delta G}{G} = \frac{c \cdot \Delta M}{c \cdot M} \] und nach Kürzen: \begin{equation*} \frac{\Delta G}{G} = \frac{\Delta M}{M}. \end{equation*} Dies wird abgekürzt wie folgt ausgedrückt: \[ \delta G = \delta M. \]

Die relativen Fehler \(\delta M\) und \(\delta G\) sind bei Funktionen des Typs \(G = c \cdot M\) einander gleich.

Die Beziehung \(\Delta G = c \cdot \Delta M\) gilt auch dann, wenn der lineare Zusammenhang zwischen \(G\) und \(M\) eine additive Konstante aufweist, wenn also die Beziehung lautet: \[ G = c \cdot M + k. \] Denn auch dann gilt \(\frac{\Delta G}{\Delta M} = c\), weil additive Konstanten beim Differenzieren wegfallen.

Für Zusammenhänge der Form \(G = c \cdot M + k \) sind die relativen Fehler \(\delta M\) und \(\delta G\) einander aber nicht gleich. Teilen wir nämlich die Gleichungen \(\Delta G = c \cdot \Delta M\) und \(G = c \cdot M + k \) durcheinander, so erhalten wir:

\[ \frac{\Delta G}{G} = \frac {c \cdot \Delta M}{c \cdot M + k}, \] und wir können für den Fall \(k \neq 0\) nicht kürzen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Gerade nicht durch den Nullpunkt (0,0) geht.

Folgefehler komplizierterer mathematischer Zusammenhänge.– Wenn der Zusammenhang zwischen der Messgröße \(M\) und der daraus zu ermittelnden Zielgröße \(G\) komplizierter ist, können wir für die Zwecke der Fehlerrechnung eine sehr einfache Näherung nutzen, die auf der sogenannten Taylor-Entwicklung beruht. Die Taylor-Entwicklung ist eine im allgemeinen unendliche Reihe.

Sie dürfen jetzt nicht erschrecken. Die Sache ist nämlich viel einfacher, als sie zunächst aussieht.

Wenn der Zusammenhang zwischen \(M\) und \(G\) komplizierter ist, dann ist der entsprechende Funktionsgraph gekrümmt. Die folgende Abbildung veranschaulicht die Verhältnisse.


Abb. 3: Veranschaulichung der Fehlerrechnung für eine nicht-lineare Funktion \(G = G(M)\). \(M\) ist die Messgröße, \(G\) eine Funktion dieser Messgröße. Die Funktion \(G(M)\) ist gekrümmt. Ändert sich \(M\) von \(M_0\) auf \(\left(M_0 + \Delta M\right)\), so ändert sich \(G\) um \(\Delta G\). Dieses \(\Delta G\) können wir in zwei Anteile zerlegen: (a) der Anteil \(\Delta G_1\), der sich ergibt, wenn wir die Steigung der Funktion \(G(M)\) im Punkt \(M=M_0\) bestimmen und die entsprechende Tangente an \(G\) anlegen; (b) da die Funktion \(G\) aber gekrümmt ist, bleibt ein Restglied \(\Delta G_2\) übrig. Eigentlich ist \(\Delta G = \Delta G_1 + \Delta G_2\), aber wir vernachlässigen \(\Delta G_2\) in der Fehlerrechnung, wir setzen also näherungsweise \(\Delta G \approx \Delta G_1\). Mathematisch bedeutet dies, die Taylor-Entwicklung von \(G\) nach dem in \(\Delta M\) linearen Glied abzubrechen;

Wenn \(G\) eine Funktion von \(M\) ist und sich \(M\) von \(M_0\) auf (\(M_0 +\Delta M\)) ändert, dann ändert sich \(G\) von \(G_0\) (das ist der Wert von \(G\) an der Stelle \(M=M_0\)) auf \(G_0 + \Delta G\). Der Zusammenhang lautet wie folgt (das nennt man eine Taylor-Entwicklung):

\[ G(M_0 + \Delta M) = G(M_0) + \left[\frac{1}{1!} \cdot \left(\frac{{\mathrm d}G}{{\mathrm d}M}\right)_{M=M_{0}}\Delta M\right] + \left[\frac{1}{2!} \cdot \left(\frac{{\rm d^2}G}{{\rm d}M^2}\right)_{M=M_{0}} \left(\Delta M\right)^2\right] + \left[\frac{1}{3!} \cdot \left(\frac{{\rm d^3}G}{{\rm d}M^3}\right)_{M=M_{0}} \left(\Delta M\right)^3\right] + \left(\ldots\right) \]

Der Ausdruck \( \left(\frac{{\mathrm d}G}{{\mathrm d}M}\right)_{M=M_{0}} \) bedeutet: die erste Ableitung von \(G\) nach \(M\) and der Stelle \(M=M_{0}\). Die Funktion \(G\) ist ja gekrümmt; ihre Steigung ändert sich mit dem Wert von \(M\).

Für die Zwecke der Fehlerrechnung ist es gewöhnlich ausreichend, in dieser Reihe alle Glieder zu vernachlässigen, die höhere Ableitungen enthalten (also die zweite, dritte usw. Ableitung). Wir berücksichtigen also außer \(G(M_0)\) nur den Term, der die erste Ableitung enthält; wir brechen die Taylor-Reihe nach dem in \(\Delta M\) linearen Term ab. Man nennt dies auch eine Linearisierung. Wir linearisieren also \(G\) in der Umgebung von \(M_{0}\). Wir bedenken außerdem noch, dass \(\frac{1}{1!}=1\) ist und erhalten:

\[ G(M_0 + \Delta M) \approx G(M_0) + \left(\frac{{\mathrm d}G}{{\mathrm d}M}\right)_{M=M_{0}} \cdot \Delta M. \] Umstellen der Gleichung liefert, wenn wir ab jetzt das Gleichheitszeichen statt des Ungefähr-Zeichens verwenden: \[ G(M_0 + \Delta M) - G(M_0) = \left(\frac{{\mathrm d}G}{{\mathrm d}M}\right)_{M=M_{0}} \cdot \Delta M \]

Die linke Seite dieser Gleichung, also \( G(M_0 + \Delta M) - G(M_0) \) stellt die Änderung von \(G\) dar, wenn sich \(M\) auf \(M + \Delta M\) ändert. Sie stellt also \(\Delta G\) dar.

In der Messtechnik interpretieren wir \(\Delta M\) als den absoluten Fehler der Messgröße \(M\) und \(\Delta G\) als den absoluten Fehler der Größe \(G\), die mit \(M\) in einem mathematisch definierten funktionalen Zusammenhang steht. In der Mathematik bezeichnet \(\Delta G\) eine Änderung von \(G\). In der Messtechnik interpretieren wir diese Änderung (also \(\Delta G\)) als den Fehler von \(G\).

\begin{equation} \label{eqTaylorFehler} \Delta G = \left(\frac{{\rm d}G}{{\rm d}M}\right)_{M=M_{0}} \cdot \Delta M . \end{equation}

Dies ist eine sehr wichtige Beziehung. In Worten lautet sie:

Wenn eine Messgröße \(M\) an der Stelle \(M=M_0\) mit dem Fehler \(\Delta M\) behaftet ist, dann ist der Fehler \(\Delta G\) einer Zielgröße \(G\) gleich der ersten Ableitung von \(G\) nach \(M\) an der Stelle \(M=M_0\), multipliziert mit dem Fehler in \(M\).

Beispiel: Eine Größe \(G\) entspreche dem Quadrat einer Messgröße \(M\): \begin{equation} \label{eqSquare} G = M^{2} \end{equation}

und \(M\) weise die Ungenauigkeit \(\Delta M\) auf.

Für die erste Ableitung von \(G\) nach \(M\) gilt:

\[ \frac{{\rm d} G}{{\rm d}M} = \frac{{\rm d} M^2}{{\rm d}M} = 2\cdot M. \] Dann gilt nach Gleichung \(\ref{eqTaylorFehler} \): \begin{equation} \label{eqSquareError} \Delta G = 2M \cdot \Delta M. \end{equation}

Der Fehler in \(G\) ist \(2M\) mal so groß wie der Fehler in \(M\).

Wir können dies noch formal etwas bequemer handhaben: wir trennen den Differentialquotienten formal auf, indem wir dessen Nenner auf die rechte Seite schreiben und dann die \({\rm d}\)-Symbole jeweils durch \(\Delta\) ersetzen:

\begin{align*} G &= M^2 \\ \frac{{\rm d} G}{{\rm d}M} &= 2\cdot M \\ {\rm d}G &= 2M \cdot {\rm d}M \\ \Delta G &= 2M \cdot \Delta M \\ \end{align*}

Anwendung: Eine quadratische Fläche \(a\) hat die Seitenlänge \(x = \left(1 \pm 0,1\right)\;{\rm m}.\) Wie groß ist der Fehler der Fläche?

Lösung:

(a) Wir berechnen die Fläche \(a\) aus dem Wert von \(x\): \[a = x^2 = 1\;{\rm m}^2.\]

(b) Wir berechnen den Fehler in \(a\): \begin{align*} a &= x^2\\ \frac{{\rm d}a}{{\rm d}{x}} &= 2x\\ {\rm d} a &= 2x \cdot {\rm d}x\\ \Delta a &= 2x \cdot \Delta x\\ \Delta a &= 2 \cdot 1\;{\rm m} \cdot 0,1\;{\rm m}\\ &= 0,2\;{\rm m}^2 \end{align*}

(c) Wir fassen beides zusammen: die Fläche des Quadrates beträgt \(\left(1 \pm 0,2\right)\;{\rm m}^2\).

Der relative Fehler von \(G = M^2\) ergibt sich durch Teilen der beiden Gleichungen \ref{eqSquareError} und \ref{eqSquare}: \[ \frac{\Delta G}{G} = \frac{2 M \Delta M}{M^{2}} = 2 \frac{\Delta M}{M}. \] Damit erhalten wir: \begin{equation} \label{eqRelSquareErr} \delta G = 2 \cdot \delta M. \end{equation}

Beachten Sie bitte, dass der Faktor \(2\) auf der rechten Seite der Gleichung \ref{eqRelSquareErr} dem Exponenten in Gl. \ref{eqSquare} entspricht.

Dies lässt sich verallgemeinern auf den Fall, dass der Exponent (n) beträgt:

\begin{equation}\label{eqPotenz} G = M^{n} \end{equation} Unsere Näherung liefert sofort: \[ \Delta G = n \cdot M^{n-1} \Delta M \] Division ergibt: \[ \frac{\Delta G}{G} = \frac{n \cdot M^{n-1} \cdot \Delta M}{M^{n}} = n \cdot \frac{\Delta M}{M}, \] also \begin{equation} \delta G = n \cdot \delta M \end{equation} Ist eine Größe \(G\) als \(n\)-te Potenz einer Messgröße \(M\) gegeben, so ist der relative Fehler \(\delta G\) \(n\) mal so groß wie der relative Fehler in \(M\).
Hier endet der Brückenkurs. Das nachfolgende Material wird ergänzend zur Verfügung gestellt.

Die Inhalte dieses Brückenkurses und die nachfolgend gezeigten Materialien werden in erweiterter Form in der Lehrveranstaltung »Messen in der Chemie« (LV 21431a,b) besprochen und diskutiert.

Fehleranalyse von Größen, die von mehreren Messgrößen abhängen

Bisher haben wir den Fall betrachtet, dass eine zu berechnende Göße \(G\) von einer fehlerbehafteten Messgröße \(M\) abhängt und diese Abhängigkeit in einer mathematischen Gleichung ausgedrückt werden kann.

Eine zu ermittelnde Größe kann aber auch von mehreren Messgrößen abhängen; dies ist in der Praxis fast immer der Fall.

Beispiel: Die Heizleistung \(P\), die einen elektrischen Widerstand \(R\) aufheizt, wenn an ihm eine Spannung \(U\) anliegt, ist durch den Ausdruck

\begin{equation}\label{eqHeizleistung} P = \frac {U^2}{R} \end{equation} gegeben. Wenn wir \(U\) nur bis auf einen Fehler \(\Delta U\) und \(R\) nur bis auf einen Fehler \(\Delta R\) genau kennen, wie groß ist dann der Fehler \(\Delta P\) ?

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns mit einer speziellen mathematischen Technik beschäftigen, die man partielles Ableiten nennt. Für diejenigen Teilnehmer, die dies noch überhaupt nicht kennen, wird das Konzept der partiellen Ableitung nachfolgend an einem Beispiel vereinfachend erklärt. Wir behandeln das Thema nur so weit, wie wir es im Folgenden wirklich brauchen.


Einschub: vereinfachte Erklärung des partiellen Ableitens.—

Falls Sie sich mit partiellen Ableitungen bereits auskennen, können Sie diesen Einschub überschlagen.

Viele Größen in der Physikalischen Chemie hängen nicht nur von einer, sondern gleich von mehreren Größen ab.

Beispiel: Das Volumen eines idealen Gases hängt von der Stoffmenge \(n\), der Temperatur \(T\) und dem Druck \(p\) ab (außerdem tritt noch die allgemeine Gaskonstante \(R\):

\begin{equation}\label{eqIdealesGas} V = \frac{nRT}{p}. \end{equation}

Ändert sich eine der Größen auf der rechten Seite der Gleichung, dann ändert sich entsprechend auch die linke Seite, also das Volumen \(V\). Ändern sich gleich mehrere Größen auf der rechten Seite, dann ändert sich \(V\) mit jeder dieser Größen. Dabei kann sogar eine Kompensation auftreten; beispielsweise wird \(V\) mit wachsendem \(T\) größer, mit wachsendem Druck \(p\) aber kleiner. Es kann also unter Umständen vorkommen, dass das Volumen gleich bleibt, obwohl sich \(T\) und \(p\) beide ändern. Die Summe beider Änderungen kann sich aufheben.

Wenn wir einmal kurz annehmen, dass \(n\) und \(p\) konstant bleiben und sich nur \(T\) ändert, dann ist \begin{equation} \label{eqODGas} \frac{\diff V}{\diff T} = \frac{nR}{p}, \end{equation} wobei \(\frac{nR}{p}\) nach Voraussetzung eine Konstante ist.

Den Ausdruck \(\frac{\diff V}{\diff T} \) können wir hier getrost als einen Bruch auffassen (obwohl dies mathematisch nicht ganz korrekt ist; nach moderner Auffassung handelt es sich um einen Grenzwert). Wir können den Bruch also trennen und schreiben:

\begin{equation} \diff V = \frac{nR}{p} \;\diff T. \end{equation}

In Worten: Die Änderung in \(V\) ist \(\frac {nR}{p} \) mal so groß wie die Änderung von \(T\).

oder auch, indem wir Gl. \ref{eqODGas} verwenden: \begin{equation} \diff V = \left(\frac{\diff V}{\diff T}\right)_{n,\;p} \cdot \diff T. \end{equation}

Hier haben wir die Größe \(\frac{\diff V}{\diff T}\) in eine Klammer gesetzt, und \(n\) und \(p\) als Index rechts unten an die Klammer angefügt, um auszudrücken, dass diese Größen hier konstant bleiben und die Änderung \(\diff V\) nicht beeinflussen.

Sind nun aber alle Größen \(n\), \(T\) und \(p\) veränderlich (und nicht nur \(T\)), dann schreiben wir für die Gesamtänderung \(\diff V\) die Summe der Einzeländerungen von \(V\) mit jeder Größe: \begin{equation}\label{eqPartialDerivative} \diff V = \left(\frac{\partial V}{\partial T}\right)_{n,\;p} \diff T + \left(\frac{\partial V}{\partial n}\right)_{T,\;p} \diff n + \left(\frac{\partial V}{\partial p}\right)_{n,\;T} \diff p. \end{equation} Die in Klammern gesetzten Größen wie z.B. \(\left(\frac{\partial V}{\partial T}\right)_{n,\;p} \) nennen wir partielle Ableitungen. Wir leiten z.B. \(V\) partiell nach \(T\) ab und halten dabei \(n\) und \(p\) konstant. Das ist das Entscheidende bei partiellen Ableitungen. Die anderen Größen werden als Konstanten behandelt. Um sie von normalen Ableitungen zu unterscheiden, verwenden wir das Zeichen \(\partial\) statt eines \(\diff\). Als Index stehen an den Klammern immer diejenigen Größen, die jeweils konstant zu halten sind. Die Summe auf der rechten Seite von Gl. \ref{eqPartialDerivative} nennen wir das totale Differential von \(V\).

Partielles Ableiten ist ganz einfach: wollen wir \(\left(\frac{\partial V}{\partial T}\right)_{n,\;p} \) berechnen, so leiten wir \(V\) nach \(T\) ab, halten die anderen Größen konstant und beachten Gl. \ref{eqIdealesGas}:

\[ \left(\frac{\partial V}{\partial T}\right)_{n,\;p} = \frac{nR}{p}. \] Es gibt also gar keine besonderen Rechenregeln dafür. Man muss nur alle anderen Größen konstant halten.

Genauso gehen wir auch bei den partiellen Ableitungen nach \(n\) und nach \(p\) vor. wir erhalten dann: \[ \diff V = \frac{nR}{p}\; \diff T + \frac{RT}{p} \; \diff n - \frac{nRT}{p^2} \; \diff p.\] Sie müssen nur die elementaren Ableitungsregeln kennen, und schon können Sie auch partielle Ableitungen bilden.

Das war's schon. Mehr brauchen Sie darüber für unseren Kurs nicht zu wissen. Die dahinter stehende mathematische Theorie ist relativ aufwändig, aber für unsere Zwecke nicht notwendig.


Wir wenden die Technik des partiellen Ableitens nun auf das Problem der Heizleistung an: \[ P = \frac {U^2}{R} \] \begin{equation} \diff P = \left(\frac{\partial P}{\partial U}\right)_R \diff U + \left(\frac{\partial P}{\partial R}\right)_U \diff R. \end{equation}

Wir halten also beim Ableiten von \(P\) nach der Heizspannung \(U\) den Widerstand \(R\) konstant, und beim Ableiten nach dem Widerstand \(R\) die Heizspannung \(U\).

Die Ableitungen sind ganz einfach auszuführen: \begin{equation} \left(\frac{\partial P}{\partial U}\right)_R = \frac{2U}{R}. \end{equation} und \begin{equation} \left(\frac{\partial P}{\partial R}\right)_U = - \frac{U^2}{R^2}. \end{equation}

Das totale Differential lautet also: \begin{equation}\label{eqTotalDiffHeizleistung} \diff P = \frac{2U}{R} \; \diff U - \frac{U^2}{R^2} \; \diff R. \end{equation} Diese Gleichung können wir nutzen, um den Fehler \(\Delta P\) zu bestimmen. Dazu müssen wir mehreren Schritten vorgehen.

  1. Wir ersetzen die differentiellen \(\diff\) in Gl. \ref{eqTotalDiffHeizleistung} (also \(\diff P\) auf der linken Seite von Gl. \ref{eqTotalDiffHeizleistung}, \(\diff U\) und \(\diff R\) auf der rechten Seite) jeweils durch \(\Delta\); wir gehen also gerade so vor wie bisher bei der Behandlung von Größen, die nur von einer Messgröße abhängen. (Erinnern Sie sich bitte an die Taylor-Entwicklung und den Abbruch der Reihe nach der ersten Ableitung!).
  2. Wir rechnen mit den Beträgen, wir setzen alle Glieder in der Summe von Gl. \ref{eqTotalDiffHeizleistung} positiv, denn die Fehlerbeiträge subtrahieren sich ja nicht voneinander.
  3. Wir berücksichtigen, dass der so erhaltene Fehler dem maximalen Fehler entspricht, der auftreten kann; es bedarf einer weiteren, weiter unten erklärten Rechenoperation, um den wahrscheinlichsten Fehler zu erhalten. Den maximalen Fehler der Größe \(P\) nennen wir \(\Delta P_{\rm max}\).

Kurzfassung: wir ersetzen in der Fehlerrechnung jedes Differential-d des totalen Differentials durch ein \(\Delta\).

Damit erhalten wir: \begin{equation}\label{eqHeizleistungMaxFehler} \Delta P_{\rm max} = \frac{2U}{R} \Delta U + \frac{U^2}{R^2} \Delta R. \end{equation} Beachten Sie bitte, dass sich das Vorzeichen des zweiten Gliedes auf der rechten Seite umgekehrt hat, weil wir mit den Beträgen rechnen.

Anwendungsbeispiel:

An einem Heizwiderstand \(R = \left(10 \pm 1\right)\;\Omega \) liegt eine Spannung von \(U=\left(100 \pm 5\right)\;{\rm V}\) an. Wie groß ist die Heizleistung?
Lösung:
(1) Wir berechnen den Wert der Heizleistung ohne den Fehler: \[ P = \frac {U^2}{R} = \frac {100^2\;{\rm V^2}}{10\;\Omega} = 1000\;{\rm W}. \]

(Anmerkung: es macht nichts, wenn Sie sich mit elektrischen Größen noch nicht so gut auskennen sollten. Sie werden diese Dinge in Ihrem Studium noch genau kennenlernen.

(2) Wir berechnen den maximalen Fehler \(\Delta P_{\rm max}\), indem wir die Werte von \(U\), \(R\), \(\Delta U\) und \(\Delta R\) in die Gl. \ref{eqHeizleistungMaxFehler} einsetzen:

\begin{align*} \Delta P_{\rm max} &= \frac{2 \cdot 100\;{\rm V}} {10\;\Omega} \cdot 5\;{\rm V} + \frac{10^4\;{\rm V^2}}{100\;\Omega^2} \cdot 1\;\Omega.\\ &= 100\;{\rm W} + 100\;{\rm W}\\ &= 200\;{\rm W}. \end{align*}

Maximaler und wahrscheinlichster Fehler.

Bisher haben wir den Fehler \(\Delta P\), der aus dem Fehler in \(R\) stammt, und denjenigen, der aus dem Fehler in \(U\) stammt, einfach zahlenmäßig addiert. Diese algebraische oder auch skalare Addition führt auf den maximalen Fehler \(\Delta P_{\rm max}\).

Die skalare Addition zweier Fehler zu einem Gesamtfehler ist in der nachfolgenden Abbildung graphisch dargestellt.


Abb. 4: Skalare Addition zweier Fehler zu einem maximalen Gesamtfehler.

Dabei überschätzt man den auftretenden Gesamtfehler, weil es in Wirklichkeit teilweise auch zu einer Fehlerkompensation kommen kann.

Zur Ermittlung des wahrscheinlichsten Fehlers \(\Delta P\) betrachten wir die Einzelfehler nicht mehr einfach als Zahlen (sogenannte skalare Größen), sondern als Vektoren im Fehlerraum (vgl. Abb. 2).


Abb. 5: Vektorielle Addition zweier voneinander unabhängiger Fehler zu einem Gesamtfehler. Die diagonale Linie entspricht dem Gesamtfehler. Sie ist kürzer als die Summe der Längen der beiden Teilfehler, und ihre Länge berechnet sich aus den Längen der Einzelfehler nach dem Satz des Pytagoras.

Der Fehlerraum hat gerade so viele Dimensionen, wie unser Gesamtfehler Beiträge aus den einzelnen Messgrößen hat. Im Falle der Leistung \(P\) gibt es zwei Fehlerquellen, nämlich die Spannung \(U\) und den Widerstand \(R\). Daher ist unser Fehlerraum zweidimensional, also eine Fläche. Wenn die Fehler voneinander vollkommen unabhängig sind (die Messung des Widerstandes \(R\) und der Spannung \(U\) also nicht das Geringste miteinander zu tun haben), stehen die Achsen des Fehlerraumes senkrecht aufeinander. Auf jeder Achse des Fehlerraumes wird der jeweilige Teilfehler abgetragen. Der Gesamtfehler ergibt sich durch vektorielle Addition der Teilfehler im Fehlerraum. Da die Achsen senkrecht aufeinander stehen, kann die Länge nach dem Satz des Pytagoras ermittelt werden. Ist \(\Delta P_1\) der Fehler aus der Spannungsmessung und \(\Delta P_2\) der Fehler aus der Widerstandsmessung, so ist (Pytagoreischer Lehrsatz für rechtwinklige Dreiecke!)

\begin{equation}\label{eqFehlerVektor} \Delta P = \sqrt{\Delta P_1^2 + \Delta P_2^2}. \end{equation}

Nach dieser Gleichung gilt für unser konkretes Anwendungsbeispiel (die Einheiten lassen wir der Einfachheit halber weg):

\[ \Delta P = \sqrt{100^2 + 100^2} = \sqrt{2 \cdot 100^2} = \sqrt{2}\cdot \sqrt{100^2} = \sqrt{2} \cdot 100 \approx 141. \]

Der Fehler \(\Delta P\) ist also deutlich kleiner als \(\Delta P_{\rm max}\).

Weiter unten werden wir sehen, dass wir den Fehler statt auf 141 besser auf 150 runden.

Relativer Fehler bei Größen, die von mehreren Messwerten abhängen.–

Wir betrachten wieder unser Beispiel \(P=\frac{U^2}{R}\).
Wir erinnern uns (siehe Gl. \ref{eqHeizleistungMaxFehler}), dass \[ \Delta P_{\rm max} = \frac{2U}{R} \Delta U + \frac{U^2}{R^2} \Delta R. \] Der relative Fehler \(\delta P_{\rm max}\) ist dann wie folgt gegeben (wir machen das jetzt super-ausführlich Schritt für Schritt zum Nachrechnen; wenn Sie im Bruchrechnen schon Ihr Freischwimmerzeugnis haben, dann übergehen Sie dies bitte): \[ \delta P_{\rm max} = \frac {\Delta P_{max}}{P} = \frac{\frac{2U}{R} \Delta U + \frac{U^2}{R^2} \Delta R}{\frac{U^2}{R}}\] Den Ausdruck rechts zerlegen wir in zwei Brüche: \[ \frac{\frac{2U}{R} \Delta U + \frac{U^2}{R^2} \Delta R}{\frac{U^2}{R}} = \frac{\frac{2U \Delta U}{R} }{\frac{U^2}{R}} +\frac{ \frac{U^2 \Delta R}{R^2}}{\frac{U^2}{R}} \] Den Bruch aus zwei Brüchen kann man berechnen, indem man den Bruch im Zähler mit dem Kehrwert des Nenners multipliziert: \[ \frac{\frac{2U \Delta U}{R} }{\frac{U^2}{R}} +\frac{ \frac{U^2 \Delta R}{R^2}}{\frac{U^2}{R}} = \frac{2U \Delta U}{R} \cdot \frac{R}{U^2} + \frac{U^2 \Delta R}{R^2} \cdot \frac{R}{U^2} \] Kürzen: \[ = 2 \frac{\Delta U}{U} + \frac{\Delta R}{R} = 2 \delta U + \delta R = \delta P_{\rm max}. \] Für die einzelnen relativen Teilfehler gelten also dieselben Regeln, wie sie zuvor für Größen angegeben wurden, die nur von einer Messgröße abhängen, und bei multiplikativen Verknüpfungen addieren sich die relativen Fehler.

Hier als weiteres Beispiel die Fehler der Spannung bei gemessenem Widerstand und gemessener Stromstärke gemäß dem Ohmschen Gesetz (bitte nachrechnen!):

\[ U = R \cdot I \] mit \(R\) und \(I\) als Messgrößen und \(U\) als Zielgröße.

\[\Delta U_{\rm max} = \frac{\partial U}{\partial R}\cdot \Delta R + \frac{\partial U}{\partial I}\cdot \Delta I = I \cdot \Delta R + R \cdot \Delta I\] \[\delta U_{\rm max} = \frac {\Delta U}{U}\] \[\delta U_{\rm max}= \frac{I \cdot \Delta R}{U} + \frac{R \cdot \Delta I}{U}\] Mit \(\frac{I}{U} = \frac{1}{R}\) und \(\frac{R}{U} = \frac{1}{I} \) folgt: \[\delta U_{\rm max}= \frac{\Delta R}{R} + \frac{\Delta I}{I}\] \[\delta U_{\rm max}= \delta R + \delta I.\] Die relativen Fehler addieren sich, weil die Größen \(R\) und \(I\) multiplikativ verknüpft sind:

Bei multiplikativ verknüpften Größen addieren sich die relativen Fehler.

Für den wahrscheinlichsten relativen Fehler gilt wieder die vektorielle Addition, so dass: \[ \delta U = \sqrt{(\delta R)^2 + (\delta I)^2}. \]

Zahlenmäßige Angabe eines Fehlers.–

Möglicherweise haben Sie in Ihrem Studium bereits ein Physik-Grundpraktikum an der FU Berlin absolviert. Dort gilt streng die folgende Regel: jeder Fehler wird immer nur 1-stellig angegeben. Das Ergebnis einer Fehlerrechnung wird auf die nächste einstellige Zahl aufgerundet. Für uns würde dies bedeuten, dass wir unser Ergebnis \(\Delta P \approx 141\;{\rm W}\) auf \(200\;{\rm W}\) aufrunden müssten. Bitte beachten Sie, dass wir auf diese Weise den Unterschied zwischen dem maximalen Fehler \(\Delta P_{\rm max}\) und dem wahrscheinlichsten Fehler \(\Delta P\) wieder verlieren würden. So wollen wir daher nicht vorgehen.

Wir geben den Fehler so an, dass die vektorielle Addition der Einzelfehler darin gerade Platz hat. Unser Fehler hat immer die Form:

\[ 1;\; 1,5;\;2;\;2,5;\;3;\;3,5; (\dots);\;8;\;8,5;\;9;\;9,5, \] multipliziert mit der jeweiligen Größenordnung, also zum Beispiel \[ 100;\;150,\;200;\;250\;(\dots). \]

Stellen Sie es sich bitte so vor wie in dem folgenden Bild:

Abb. 6: Veranschaulichung der zahlenmäßigen Angabe eines Fehlers. Nehmen wir an, der berechnete Fehler sei 141. (Die Einheiten lassen wir hier weg.) Mögliche Fehlerwerte sind 100, 150 und 200. Diese Werte sind durch die senkrechten Striche dargestellt. Zwischen den Strichen befindet sich in Gedanken jeweils ein Halbkreis, auf dem der Fehler wie eine kleine Kugel liegt. Die Kugel rollt dann zum nächsten erlaubten Fehlerwert, hier also rollt sie nach 150. Wäre der Fehler nur 115, so würde die Kugel nach 100 rollen. Wir dürfen also auch abrunden! Man nennt eine solche Zahlenangabe auch eineinhalbstellig, weil die erste Stelle jede der Ziffern \(1\dots 9\) annehmen kann, die zweite aber nur den Wert 5. (Halbstelligkeit gibt es übrigens auch bei digitalen Messgeräten. Die meisten Multimeter sind dreieinhalbstellig.)

Angabe von Fehler und Wert zusammen.

Die Zahl der signifikanten Stellen des Wertes und die Höhe des Fehlers müssen zueinander passen. Es dürfen beim Wert nicht mehr Stellen angegeben werden, als der Fehler zulässt.

Beispiel:

Bei der Bestimmung der Faradaykonstanten \(F\) (Einheit \(\frac{\rm C}{\rm mol}\)) aus der Steigung einer Geraden erhält man mit Hilfe einer Auswertesoftware zunächst das Ergebnis:

\[ F = \left(95821,341 \pm 2937,23\right)\;\frac{\rm C}{\rm mol}. \]

(a) Wir betrachten zunächst den Fehler. Entsprechend der oben angegebenen Regeln muss der Fehler mit \(\Delta F = 3000\;\frac{\rm C}{\rm mol}\) angegeben werden, denn das ist der nächstgelegene erlaubte Fehlerwert. (Die Nachbarfehler sind 2500 und 3500; diese beiden Fehlerwerte sind weiter von dem Wert 2937,23 entfernt als 3000, unsere Kugel (vgl. Abb. 3) rollt also nach 3000).

(b) Nun betrachten wir den Wert selbst. Da der Fehler im Bereich der Tausender-Stelle liegt, ist die Angabe sämtlicher weiterer Stellen, die im Roh-Resultat auftreten, also die Hunderter, Zehner, Einer usw., physikalisch sinnlos. Ja die Angabe dieser Stellen ist sogar irreführend, denn sie gaukelt eine Genauigkeit vor, die angesichts des Fehlers von \(\Delta F = 3000\;{\rm \frac{C}{mol}}\) gar nicht existiert. Diese Stellen werden nach dem Runden durch Nullen ersetzt, um die richtige Größenordnung anzugeben. Es wird also auf die Tausender-Stelle gerundet. Wir erhalten also auf diese Weise das Endergebnis:

\[ F = \left(96000 \pm 3000\right)\;\frac{\rm C}{\rm mol}. \]

Ebensogut könnten wir auch schreiben:

\[ F = \left(96 \pm 3\right)\;\cdot 10^3\;\frac{\rm C}{\rm mol}. \] Die Angabe von zu vielen signifikanten Stellen eines Wertes ist der in technischen Berichten am häufigsten auftretende Fehler!

Weitere Beispiele:

  1. Die rechnerische Auswertung ergibt zunächst: \[U = \left(1,2345 \pm 0,01659\right)\;{\rm V}\] Dann lautet das endgültige Ergebnis: \[ U = \left(1,23 \pm 0,015\right)\;{\rm V}.\]
  2. Die Auswertung ergibt zunächst: \[ I = \left(0,76543 \pm 0,12145\right)\;{\rm A}\] Dann lautet das endgültige Ergebnis: \[ I = \left(0,8 \pm 0,1\right)\;{\rm A}.\]